(K)eine Ode an Soorsi

Städtisch oder ländlich? Eine Frage woher man kommt.

Joyce Lopes de Azevedo ist von Zürich nach Sursee gezogen. Und fühlt sich wie neugeboren. «Der Dichtestress verfliegt, die Menschen sind zuvorkommender.» Soeben ist ihr Artikel im Magazin Schweizer Monat erschienen. Wir halten dagegen mit unserer Meinung und der ländlichen Perspektive auf ein städtisch werdendes Sursee.

EINE ODE AN SOORSI 🔴⚪️👍
Auszug, Schweizer Monat, Kolumne, Joyce Lopes de Azevedo:


Niemand schubst, alle lachen
Ende September 2023 in Sursee angekommen, erlebte ich noch den wunderschönen Herbstmarkt in der Altstadt. Überall regionale Produkte, viele Familien und, man staune, sehr viele Schweizer. Überall war Schweizerdeutsch zu hören, Lozärnerdeutsch aus dem Hinterland. Ich war mir das nicht mehr gewohnt und fühlte mich wie in den Ferien. Wie ein Tourist in der Schweiz mit Schweizer Pass. Niemand schubste, alle sagten Grüezi, alle lachten. Es war wie in einer anderen Welt. Am nächsten Tag spazierte ich zum Strandbad Sursee, direkt am Sempachersee. Was für eine schöne Aussicht: die Rigi und der Pilatus direkt vor mir. Am Abend wollte ich einkaufen, immer noch in der Gewohnheit, dass ich in Zürich auch sonntags bis 23 Uhr etwas bekomme. Nun musste ich hier zur Tankstelle. Weil alles etwas kleiner ist, war es etwas eng zwischen den Regalen. Eine Frau berührte mich ungewollt. Sie entschuldigte sich aufrichtig und mit vielen Worten. Mir kamen fast die Tränen. Bin ich schon im Himmel oder einfach so zürichverseucht, dass mir jede menschliche Freundlichkeit so brutal auffällt? Bei einer anderen Gelegenheit verlor ich während der Fahrt den Deckel des Akkus meines E-Bikes. Ein aufmerksamer E-Biker – gefühlt jeder zweite Mensch fährt hier E-Bike – sah das, raste mir damit hinterher. Er ist Besitzer eines E-Bike-Geschäfts und bat mich, so schnell wie möglich vorbeizukommen, sodass er mir das Ding wieder festmachen konnte. Nach Feierabend ging ich vorbei, er schenkte mir diesen kleinen Service. Wieder kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Und so ging mein neues Leben hier weiter. Wenn ich am Hauptbahnhof in Zürich ankam, zog sich mein Herz zusammen: die Menschen, das Verhalten, das Nichtgrüssen. Manchmal fragte ich mich, wo Zürich seine Grazie verloren hat.

Aus den Träumen erwacht
Nur eines Morgens erschrak ich gewaltig in Sursee. «Pumm, pumm, pumm, pumm», polterte es um 5 Uhr morgens am «schmotzigen Donnschtig». Ich dachte, jemand sei eingebrochen! Doch dann kam mir in den Sinn, dass ich ja im Kanton Luzern wohne, es war der Beginn der Fasnacht. Schlecht erwacht aus meinen Träumen bin ich nur einmal: Als ich mein E-Bike am Bahnhof Sursee abholte, fehlte der Sattel. Er wurde samt Stange geklaut. Bis dahin träumte ich davon, es gäbe keine schlechte «Soorser», wie sie sich hier nennen. Ignoriert habe ich auch einen Frauenmord nicht weit von meiner Wohnung und den Überfall auf eine Bankfiliale vor ein paar Wochen. Es muss die Kriminalitätsrate um 100 Prozent erhöht haben! Der Ernst des Lebens hat mich wieder eingeholt. Aber noch nie war ein Sommer so schön. Rendezvous im Caribbean Village in Nottwil, einer Terrassengastronomie im karibischen Stil. Verweilen in der Badi Schenkon mit dem schönsten Sonnenuntergang am Sempachersee. Altstadtfeste. Neue Bekanntschaften. Wie könnte ich mich je für dieses Jahr in Sursee revanchieren?

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KEINE ODE AN SOORSI 🔴⚪️👎
Persönliche Land- zur Stadtsicht von trechter.ch:

Liebes Sursee, du zweites Zentrum im Kanton Luzern. Du wächst und bist grad so unharmonisch und unausgeglichen. Du bist mitten in der Pubertät angekommen. Du wandelst dich vom ländlichen Städtli zur Stadt. Von der pulsierenden Altstadt zum Bahnhof macht sich ein Graben auf. Nicht nur bei deinen Baustellen. Zwei Gebiete einer Stadt in unterschiedlichen Zeiten entstanden. Zwei verschiedene Welten. In den Gaststätten des Städtli das Leben. Von der Altstadt bis zum Bahnhof die grosse Leere. Der Weg zum Bahnhof eine staubtrockene Betonwüste. Wenn du doch in die Höhe baust, bau doch gleich höher! Du hast grad Akne und merkst es nicht.

Was bringt deine städtische, erwachsene Zukunft? Ein autofreies Städtli? Eine Flaniermeile zum Bahnhof, ein «Boulevard rue de la gare»? Rausstuhlen. Beleben. Begrünen. Das wäre doch auch städtischer. Die graue Lücke füllen von der Altstadt bis zum Bahnhof. Den See im Namen tragend, ist der Triechter weit entfernt und nicht gelebt. Sursee, du wächst und stösst an deine Grenzen. In die Altstadthäuser und die letzten Landreserven investieren auswertige Investoren. Den Preis des Wachstums zahlst du. Wie tickt dein Herz? Was ist deine Identität? Nah am Wasser gebaut und nicht (mehr) mit allem vertraut.

» Historische Bilder von Sursee...

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  • Blick auf Sursee 2019. Bild: Bruno Raffa

  • LUKB-Dreiklang by night.

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